Die korrekte und vollständige Beantwortung der Risiko- und Gesundheitsfragen im Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung erhöht die Leistungswahrscheinlichkeit einer Berufsunfähigkeitsversicherung maßgeblich.
Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen möchte, hat gem. Abs. 1 des § 19 Versicherungsvertragsgesetz “die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen”. Es spielt keine Rolle, was der Versicherungsnehmer für erheblich oder auch nicht erheblich hält. Ein solcher Interpretationsspielraum besteht nicht.
Dennoch begegnen mir in der Praxis immer wieder Anfragen von Schlaubischlümpfen, die sich auf bestimmte Abfragezeiträume (“… ach, Versicherer x fragt nur 3 Jahre, dann ist es doch verjährt …”) eingeschossen haben. Aus meiner Sicht die Omega-Lösung, da es stets auf die konkrete Fragestellung und den individuellen Fall ankommt.
Schauen wir uns doch nachfolgend einmal an, wie Gesundheitsfragen im Antrag zu lesen und zu verstehen sind.
Abfragesystematik im Antrag einer Berufsunfähigkeitsversicherung
Im ersten Schritt unterscheiden wir zunächst zwei grundsätzlich unterschiedliche Fragestellungen in den Anträgen.
- bestehen und bestanden Fragen
- untersucht, behandelt, beraten Fragen
Bei “untersucht, behandelt, beraten” wird die tatsächliche Konsultation des Arztes (oder Heilberufler) ergebnisneutral abgefragt. Sprich, der angabepflichtige Umstand ist der Arztbesuch im Zusammenhang mit zum Beispiel einer Erkrankung. Das Ergebnis der Untersuchung oder Behandlung ist zunächst nebensächlich für die Angabepflicht.
Bei “bestehen, bestanden” wird abgefragt, ob bspw. eine Erkrankung im Abfragezeitraum tatsächlich bestand. Es kommt nicht auf einen Arztbesuch an. Durch diese Fragestellung werden Abfragezeiträume regelmäßig aufgehebelt. Habe ich bspw. nur einen Arm, ist das bei “bestehen, bestanden” selbstverständlich auch dann angabepflichtig, wenn in den letzten 5 oder 10 Jahren nicht behandelt wurde.
“Bestehen, bestanden” triggert also insbesondere degenerative und dauerhafte Erkrankungen (bspw. Skoliosen, Autoimmunerkrankung, Neurodermitis ua.) unabhängig von Arztbesuchen im Abfragezeitraum.
Eine pauschale Bewertung, dass die eine oder andere Systematik generell besser oder rechtssicherer wäre, ist so nicht möglich. Es kommt stets auf die tatsächlichen Details im Einzelfall an. In der Regel gibt es in allen Anträgen auch Pauschalfragen (bspw. Behinderungen, Unfallfolgen etc.), die eine grundsätzlich Systematik auch wieder aufheben können.
Im zweiten Schritt ist der Inhalt der Fragestellung zu erfassen. Folgende Inhalte können abgefragt werden:
- Krankheiten
- Beschwerden
- Störungen
- Beeinträchtigungen
Eine Krankheit im Sinne einer Antragsfrage in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist ein Gesundheitszustand, der vom Normalen ernsthaft abweicht und behandlungsbedürtig war oder ist oder Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt hat.
Die damit verbundenen Beschwerden müssen zu einer nicht ganz unerheblichen Funktionsstörung geführt haben. Vereinfacht: Spürbare Einschränkung im Alltag. Bestehende Krankheiten, die im Abfragezeitraum beschwerdefrei (oder schlummernd) waren, sind ebenfalls angabepflichtig. Das bezieht sich einerseits insbesondere auf “bestehen, bestanden”-Fragen und andererseits auf erhebliche Erkrankungen (bspw. HIV -> AIDS).
Um Interpretationsspielräume zu schließen, wird üblicherweise Krankheit immer in Kombination mit Beschwerden abgefragt. Bei Beschwerden geht es demnach insbesondere darum, dass klare Beschwerden vorlagen aber die eigentliche Krankheit (bspw. Ursache / Ausprägung) noch nicht abschließend diagnostiziert ist.
Die Beschwerden müssen selbst noch keinen Krankheitswert und auch noch keinen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit haben.
Grippale Infekte und Erkältungskrankheiten sind für sich üblicherweise keine gefahrerheblichen und somit keine angabepflichtigen Umstände in der Berufsunfähigkeitsversicherung.
Diese Aussage ist zu revidieren, wenn …
- überdurchschnittlich häufig auftretend mit bspw. Krankschreibungen
- oder in Wechselwirkungen mit Atemwegserkrankungen
- oder in Wechselwirkungen mit beruflichen Gegebenheiten
Sind häufige Atemwegsinfekte teil einer gesamten Story rund um Atemwegserkrankungen (bspw. Heuschnupfen oder Asthma) ist das auch ein gesamter Gefahrumstand.
Führen derartige Erkrankungen zu beruflichen Einschränkungen, besteht sehr wahrscheinlich Angabepflicht. Beispielsweise kann bereits ein Schnupfen Arbeitsunfähigkeit beim Piloten verursachen. Eine chronische Sinusitis mit vermutlich allergischem Hintergrund ist beim Landschaftsgärtner ggf. sogar schon die Vorstufe auf das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit.
Wesentlich weiter reichen Abfragen nach Störungen und (Gesundheits-)beeinträchtigungen. Darunter sind gesundheitliche Beeinträchtigungen zu verstehen, die eben NOCH nicht die Schwere oder Intensität einer Krankheit aufweisen. Zumindest dann, wenn die gesundheitliche Einschränkung nicht offenkundig belanglos oder mit Sicherheit vorrübergehend ist (Kopfschmerzen nach 3-4 Bier zu viel).
Störungen und Beeinträchtigungen grenzen sich von der Krankheit insofern ab, als das tatsächliche Ursache, Therapie-, Behandlungs- und Diagnosestand unerheblich sind.
Störungen beziehen sich insbesondere auf Funktionseinschränkungen (bspw. Hören / Sehen), Schmerzzustände und vor allem psychische Beeinträchtigungen. Jeweils losgelöst von der Behandlungsbedürftigkeit, losgelöst von einer ärztlichen Behandlung oder Diagnose.
Eine für sich durch das Einsetzen eines künstlichen Gelenks abgeschlossene Behandlung im Kontext Gelenkverschleiß ist bei Fortbestehen des künstlichen Gelenks (und bspw. regelmäßiger Kontrolle) selbstverständlich eine Störung.
Schwankende Blutdruckmessungen können bereits eine Störung sein, auch wenn eine (dauerhafte) Bluthochdruckerkrankung als solche noch nicht nicht diagnostiziert wurde.
Das Tragen von Einlagen (bspw. Knick-Senk-Spreizfuß oä.) auch wenn unter regelmäßiger Nutzung der Einlagen eigentlich (auch seit Jahren) beschwerdefrei.
Die Fragen im Antrag einer Berufsunfähigkeitsversicherung sollten also ganz genau gelesen und vor allem auch verstanden werden. Das fällt nicht nur den Versicherungsnehmern regelmäßig schwer.
Auch Vermittler, die ab und zu mal eine Berufsunfähigkeitsversicherung vermitteln, haben hier erhebliche Probleme. Insbesondere dann, wenn es am medizinischen Grundverständnis fehlt. Was ich am nachfolgenden Beispiel einmal ausführlich darstellen möchte.
Neurodermitis – Behandlungsfrei oder beschwerdefrei?
Eine Neurodermitis kann durchaus im Abfragezeitraum vollständig behandlungsfrei sein. Betroffene lernen mit der Erkrankung umzugehen. Können die Story selbst mit beispielsweise fettenden Cremes handeln, auch ohne Arzt.
Deswegen ist die Geschichte aber noch lange nicht beschwerdefrei. Beschwerdefrei hieße bei einer Neurodermitis nämlich grundsätzlich erscheinungsfrei.
Während Behandlungsfreiheit (im Abfragezeitraum) bei einer Neurodermitis eher die Regel ist, ist Beschwerdefreiheit die Ausnahme.
Bei einer “bestehen, bestanden”-Frage nach Krankheiten und Beschwerden im Kontext Haut ist die Story mit höchster Wahrscheinlichkeit angabepflichtig.
Bei “untersucht, behandelt, beraten” vermutlich aber auch. Denn selbst wenn keine direkte ärztliche Intervention erfolgt, so wird die Story regelmäßig wenigstens anamnestisch erfasst und ggf. kontrolliert. In der GKV-Akte führt das häufig zu sogenannten Daueranamnesen, meint immer wieder durchgeschleifte Diagnosen.
Leider begegnen mir derartige Sachverhalte in der beruflichen Praxis häufiger. Insbesondere dann, wenn ein Vorvermittler aus Unwissen (oder anderen Motiven) suggerierte, “das müssen Sie doch nicht angeben …”, kann es richtig unschön werden.
Letzten Endes überlasse ich dem Interessenten dann zwei Möglichkeiten zur Auswahl:
- Meinen Weg und es richtig und rechtssicher machen
- Irgendwas anderes, aber nicht mit mir und bitte Spendenquittung vom Versicherer nicht vergessen
Kürzlichst hatte ich sogar mal einen Fall, der trotz vermeintlicher Irrelevanz sämtliche Aspekte dieses Artikels getriggert hat:
Vor ein paar Tagen kam es zum Ersttermin (und im Folgetermin zur Risikovoranfrage) mit einem Arzt als Interessenten. Ärzte sind im Sinne Aufbereitung der Gesundheitshistorie generell eine komplizierte Zielgruppe.
Liegt einfach daran, dass Ärzte gesundheitliche Storys aus der “IST”-Perspektive sehen (ach, das ist doch harmlos). Den Risikoprüfer im Kontext Berufsunfähigkeitsversicherung interessiert jedoch nur, wie sich ein Gefahrumstand x rein statistisch im Hochrisikoalter (Mitte 40 – Anfang 50) rein statistisch auswirken könnte. Unterschiedliche Einschätzungen sind also vorprogrammiert.
Daher berate ich lieber Medizinstudenten, die sind noch nicht so durch vermeintliches Vorwissen (hier Versicherungsrecht / Risikoprüfung und eben nicht Medizin für sich) versaut.
Und wie es kommen musste, beim besagten Arzt waren gleich alle Vorzeichen negativ. Bekannt war eine atopische Dermatitis. Im Volksmund: Neurodermitis. Selbstverständlich hat der Arzt die Story selbst im Griff, bspw. mit fettender Creme. Also Behandlungen durch andere Ärzte erfolgten in zu erwartenden Abfragezeiträumen nicht.
Die Neurodermitis war aber nicht erscheinungsfrei (sprich beschwerdefrei), nur behandlungsfrei. Trat halt immer mal wieder sporadisch auf, aus Sicht Arzt natürlich kein Problem. Risikoprüfer in der Berufsunfähigkeitsversicherung sehen das zu Recht anders.
Zumal die Erscheinungen an den Händen auftraten. Sie wissen schon, regelmäßig Desinfizieren, Handschuhe tragen usw. usf. … Spätestens beim Zahnarzt ist hier Schluss, Leistungsausschluss in regulärer Risikoprüfung ist vorprogrammiert.
Glücklicherweise war der Interessent meinen begründeten Argumenten gegenüber aufgeschlossen und wir haben sauber gearbeitet. Bei Ärzten ist das aber eher die Ausnahme.
Erschwerend kam nun hinzu, dass der Arzt bereits ein Angebot von der Deutschen Ärzteversicherung vorliegen hatte (selbstverständlich ohne die Gesundheitshistorie zu klären).
Auch wenn die DÄV eine eigene Antragsabteilung hat, so ist das im Kern doch trotzdem die Axa. Sowohl gesunder Menschenverstand als auch meine Datenbank mit Risikovoranfragen für über 600 Interessenten sagten hier, das kann nicht sein.
Da mich solche Storys schlicht aus Neugier brennend interessieren, habe ich einen “Bekannten” bei der Axa angeschrieben. Eben ob die BEHANDLUNGSFREIE Neurodermitis tatsächlich neuerdings so locker sehen (nachweisbar durch andere Rivos natürlich nein). Sehr zügig kam dann die Antwort, “ja, BESCHWERDEFREIE Neurodermitis sei überhaupt kein Problem …”.
BÄÄÄÄÄÄÄMMMMMM, das war gerade das Ticket zur Spendenquittung.
Eine behandlungsfreie Neurodermitis ist eben nicht automatisch beschwerdefrei (sprich erscheinungsfrei). Nun muss man sagen, mein Ansprechpartner stammte aus der Produktentwicklung. Der muss diese medizinischen Feinheiten weder wissen, noch verstehen. Also habe ich ihm die Story erklärt.
Erfreulicherweise war er gleichermaßen neugierig wie ich und hat bis ins Underwriting weiter geforscht. Ergebnis: Selbstverständlich hatte ich Recht. Behandlungsfreiheit reicht hier allein nicht, es muss auch Beschwerdefreiheit (erscheinungsfrei) vorliegen. Dann ist mit zeitlichem Abstand (AXA 12 Monate) ein glattes Votum denkbar.
Aber warum ist diese Korinthenkackerei nun so relevant? So lange ich die Story einfach gar nicht angebe, bin ich sehr wahrscheinlich nur im Verschuldungsgrad Vorsatz. Mir steht also im Falle eines Leistungsantrags mit Vorwurf vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung noch der Kausalitätsgegenbeweis offen.
Salopp: Ich kriege meine BU-Rente, wenn die BU nicht auf den Kontext Neurodermitis / Haut zurückzuführen ist.
Gebe ich im Antrag jedoch eine behandlungs- und beschwerdefreie Neurodermitis an, wird der Antrag nach obigem Schema medizinisch glatt angenommen. Allerdings habe ich wissentlich und willentlich Einfluss auf die Entscheidung des Versicherers genommen. Das ist die Definition für Arglist.
Und sollte der Versicherer mit Arglist durchkommen, ist er generell und unabhängig von der BU-Ursache binnen der ersten 10 Jahre leistungsfrei.
Völlig unabhängig davon, wie schwer Arglist für einen Versicherer nachzuweisen ist: Mit der Aufklärung kann man Jahre verbringen und mehrere gerichtliche Instanzen durchlaufen.
Das lassen wir dann doch lieber. Zumal hier sehr wohl Möglichkeiten bestehen, den Arzt sauber und rechtssicher gegen Berufsunfähigkeit zu versichern.
Aus der Praxis, mein Beratungsablauf
Auf die sorgfältige Aufbereitung der Gesundheitshistorie lege ich großen Wert. Dadurch lässt sich die Leistungswahrscheinlichkeit einer Berufsunfähigkeitsversicherung erheblich steigern.
Ich werde immer dazu raten, Gefahrumstände sorgfältig aufzubereiten. Hier gehört der Arztbericht Berufsunfähigkeitsversicherung (oder Befund) zu den gängigsten und wirksamsten Instrumenten.
Auf Diskussionen zu kruder Interpretation von Antragsfragen durch Laien lasse ich mich nicht ein. Leute, ehrlich: Eine solche Abwägung steht euch gesetzlich schlicht nicht zu. Wenn Ihr das aber partue so haben wollt … im Umkreis von 20km habt ihr bestimmt 5-10 Ausschließlichkeitsvertreter, die sich alle über eine neue Kaffeebekanntschaft freuen würden. Aber bitte verschont mich mit sowas.
Prozessual werde ich eine Risikovoranfrage auch immer so aufbauen, dass diese den gängigen Antragssystematiken entspricht. Das spart böse Überraschungen beim Ausfüllen des späteren Antrags. Nur im absoluten Einzelfall werde ich davon abweichen. Dann aber auch genau begründen warum und in Bezug auf welche Gesellschaft konkret.
Kurzum: Es reicht nicht Antragsfragen nur zu lesen, man sollte sie auch verstehen.
Sehr interessanter Artikel und Blog.
Wenn ich hier aber gedanklich den fiktiven Fall des Kollegen eines Schwagers danebenlege, wüsste ich leider trotzdem nicht auf Anhieb, was ihm zu raten wäre.
Wenn es wirklich keinerlei Aktenlage dazu gibt, weil man seit über 10 Jahren nicht mehr beim Arzt war, sollte man dann dennoch auf Verdacht “Störungen und Beeinträchtigungen” um jeden Preis angeben?
Beispiel: Eine Person meint sich zu erinnern (kann die medizinischen Details aber beim besten Willen nicht mehr korrekt benennen, weil keine Unterlagen mehr vorliegen), dass bei ihr eine Einschränkung im Hüftbereich und wohl auch im Rücken vorliegt. Ohne zu marginalisieren – angenommen, es “zwickt” derzeit manchmal bei bestimmten Bewegungsabläufen insgesamt selten und noch am meisten beim in der Freizeit betriebenen Kraftsport.
Was soll diese Person auf einschlägige Antragsfragen angeben?
Die Person ist nicht gerade dazu geneigt, etwa in einem Fragebogen zum Erstkontakt oder erst recht gegenüber dem Versicherer den Sachstand mit “Es zwickt manchmal in der Hüfte, Diagnose gab es wohl, weiß aber leider nicht mehr, ob damals gesichert oder diese auch heute noch so gestellt würde”, zusammenzufassen.
Das wäre ja nicht mal ansatzweise im erforderlichen Schema “Was war wann warum wie behandelt?” zu erfassen.
Man weiß weder a) was es genau ist, noch b) warum. Man weiß nur, dass es in unregelmäßigen Abständen, bei manchen Bewegungsabläufen manchmal auftritt. Behandelt wurde es nie.
Neigt eine Person hier schon allzu sehr zu “kruder Interpretation von Antragsfragen”, wenn sie einen Spielraum gegeben sieht, die vermeintlichen Störungen nicht anzugeben?
Wenn die Person sich jetzt einreden lässt, nein nein dieser Spielraum existiere nicht, eine über das normale Maß hinausgehende Störung liege offensichtlich vor, die “IST”-Perspektive reiche nicht aus, man male sich doch bitte aus, wie sich der Umstand “rein statistisch im Hochrisikoalter (Mitte 40 – Anfang 50) auswirken könnte” (!)
Soll diese Person nun extra zum Arzt zur Klärung des Befunds gehen und die erzeugte Aktenlage sowie ggf. Ausschlussklausel und/oder Risikozuschlag jedenfalls in Kauf nehmen?
Oder nimmt sie eher den Umstand, dass sie auch (wohlgemerkt ohne jegliche Untertreibung) sehr gut ohne Arztbesuch klarkommt, zum Anlass, das als normale oder etwa altersgemäße Belastungsreaktion bei sportlicher Betätigung schlimmstenfalls als “altersgemäßen Kräfteverlust” zu verbuchen?
Ist es vielleicht doch noch offenkundig belanglos und mit Sicherheit stets vorübergehend (analog zu den Kopfschmerzen nach 3-4 Bier zu viel, etwa Rückenschmerzen vielleicht niemals nach dem Heben jenes Bierkastens, aber manchmal nach dem Heben eines Äquivalents von 21 Bierkästen, nie vor dem Getränkemarkt aber manchmal im Kraftraum)?
Ich frage für den (im Hauptberuf nicht körperlich tätigen) Kollegen eines Schwagers, notgedrungen, mangels Interpretationsspielraum
Die sinnvollste Antwort, alles andere ist Glaskugellesen:
Einen Interpretationsspielraum des Versicherungsnehmers sieht das VVG nicht vor.
Entsprechend empfiehlt sich ein Antrag, der eben diese Thematik sauber und rechtssicher nicht abfragt. Es gibt genügend brauchbare Versicherer, die nicht über Krankheiten und Beschwerden hinaus fragen. In Kombination mit “untersucht, behandelt, beraten” statt “bestehen oder bestanden” ergibt sich gem. Schilderung mangels eben “Untersuchung / Behandlung / Beratung” auch keinerlei Problem.
Guten Tag Herr Breitag,
angenommen der Hausarzt hat 2006 eine Diagnose “Skoliose” gestellt. Eigentlich eher: “Diagnose” in Anführungszeichen. Er hat einfach eine Abrechnungsdiagnose eingetragen, weil er wegen Rückenproblemen Physiotherapie verschreiben wollte. Hat damals auch gepasst, das mit der Physiotherapie – nur von der Abrechnungsdiagnose habe ich erst erfahren, als ich mir einen Auszug meiner Patientendaten kommen ließ.
2009 habe ich einen Antrag auf BU-Versicherung bei einem Versicherer gestellt – habe dann dort nicht abgeschlossen. Der Versicherer schickte damals einen Fragebogen an den Hausarzt (ja, ohne Makler durchgezogen, war suboptimal … -.-) und der beantwortete folgende Fragen:
– Welche Gesundheitsstörungen / Krankheiten haben Folgen hinterlassen? Arztantwort: Keine
– Bestand oder besteht außerdem ein Gebrechen, eine Krankheit oder ein chronisches Leiden? Arztantwort: Nein
– Haben Sie Ihrem Patienten Medikamente zur regelmäßigen Einnahme verordnet? Wenn “Ja”, welche und wann? Arztantwort: Keine
Die Bundeswehr dokumentierte wenig später “Beckenschiefstand: Nein” und “Beinverkürzung: – cm” (also keine Verkürzung). Bei “Wirbelsäule” stand ebenfalls nichts.
Basierend auf diesen Informationen würde ich doch die Skoliose nicht als Diagnose im Fragebogen einer BU-Versicherung angeben, oder?
Und zum Stichwort “Enthaftung”, das Sie an anderer Stelle hier im Blog erläutern: Wenn Sie mir als Versicherungsmakler im Zuge der Online-Beratung schriftlich per E-Mail sagen: “Ne, das mit der Skoliose usw. müssen Sie nicht angeben.”, dann bin ich doch als Kunde und Versicherter auf der sicheren Seite, oder täusche ich mich? Das sind ja Sachen, die fachlich sogar der Diagnose-stellende Arzt und versicherungstechnisch Sie als Makler ausgeräumt haben?
Mit freundlichen Grüßen
S. Bugatti
Zumindest für die mit Abschluss 2009 nicht angegebene Skolioseproblematik hat der Versicherer in 2020 keine Handhabe mehr. Mit anderen zeitlichen Gegebenheiten wäre das ebenfalls fraglich, da ein Hausarzt eine Skoliose eher schlecht per Handauflegen bestimmen kann und Minimalskoliosen bis 10 Grad Cobbwinkel bei 3 Jahren Abstand zu den Beschwerden von einer Allianz (im anderen Kommentar genannt) medizinisch glatt gezeichnet worden wären. Der vom Arzt ausgefüllte Fragebogen wirkt zudem zunächst als Hemmnis analog Arztbericht, was die Kenntnis des VN angeht.
Dieses “das müssen Sie nicht angeben” ist ein weitaus komplexeres Thema, als es scheint. In diesem Fall ist der Versicherungsvertreter die günstigere Konstellation, wenn diesem vom VN nachweisbar die Information gem. “Auge und Ohr Prinzip” zugegangen ist. Und wenn sich eine Angabepflicht ob Schwere der Umstände (bspw. überspitzt Herzinfarkt) nicht hätte aufdrängen müssen.
Beim Makler ist das ungleich komplexer. Bei gefahrerheblichen, sprich entscheidungsrelevanten Angaben gem. 19 VVG kommt beim Maklerverhalten dazu, dass der VN sich das Maklerverhalten anrechnen lassen muss. Salopp: Juristisch ist Makler = VN. Das ergibt sich aus den Rahmenbedingungen des §166 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB.
Ein Beispielurteil mit entsprechender Passage:
-> Makler handelt arglistig, wenn er gefahrerhebliche Angaben „unterdrückt“ -> Vertreter des VN gem. BGB
BGH vom 12.03.2014, IV ZR 306/13
Bedingt aber eben eine gänzlich andere, in der Schwere gravierendere Story, als das gem. Ihrer Schilderungen der Fall war. Siehe Kurzfassung des Urteils:
https://www.iww.de/quellenmaterial/id/104200